Vikar-Henn-Preis für Zivilcourage setzt wieder Zeichen

Landkreis Cloppenburg, Pressemitteilung vom 20.04.2023


Gratulierten Bernd Theilmann (mit Urkunde) für seine Auszeichnung (v.l.): Dechant Bernd Strickmann, Tobias Vaske, Prof. Dr. Christine Aka, Landrat Johann Wimberg und Prof. Dr. Uwe Meiners. Foto: Sascha Rühl / LK Cloppenburg

Vikar-Henn-Preis für Zivilcourage setzt wieder Zeichen / Missbrauchsopfer und Schulgemeinschaft ausgezeichnet

Landkreis Cloppenburg. Bernd Theilmann aus Oldenburg ist neuer Preisträger des Vikar-Henn-Preises für Zivilcourage. Theilmann ist Opfer eines langjährigen Missbrauchs inner-halb der katholischen Kirche und engagiert sich seitdem für die Aufdeckung von Fällen. Aus 19 Vorschlägen und 17 Nominierungen hat sich die Jury für diesen Preisträger entschieden, der den Mut hatte, sich öffentlich gegen Kirche und Gesellschaft aufzulehnen, ein Tabu zu brechen und einen Verbrecher für seine Taten anzuklagen. Denn nach diesem damals allseits geachteten Mann mit dunkler Seite sollte ausgerechnet eine Schule benannt werden.
Einen neu eingeführten Anerkennungspreis hat die Ludgeri-Schule in Löningen erhalten, da sich diese in einer Vielzahl von Projekten für Zivilcourage und gegen Rassismus ein-setzt und so eine Vorbildfunktion für andere Schulen in der Region darstellt. Die Preise der Bürgerstiftung in Zusammenarbeit mit der Kirchengemeinde St. Andreas sind mit 2500 Euro dotiert und am Dienstagabend feierlich im Kreishaus in Cloppenburg verliehen worden.

Tobias Vaske, Vorstand der Bürgerstiftung Cloppenburg, begrüßte die Gäste und freute sich über das gute Bild eines vollbesetzten großen Sitzungssaals im Kreishaus. „Mit der Auslobung soll ein Beitrag gegen das Vergessen geleistet werden. Er soll ermutigen, die Zeichen dieser Zeit zu erkennen und Engagement belohnen.“ Gleichzeitig dankte er für Gelegenheit, die Preisverleihung im Kreishaus vornehmen zu können.

„Selbstverständlich darf diese Veranstaltung hier stattfinden“, betonte Schirmherr Landrat Johann Wimberg. „Dieser Preis erfährt eine besondere Wertschätzung in der Öffentlichkeit. Deswegen habe ich auch gerne mit Prof. Dr. Uwe Meiners die Schirmherrschaft übernommen.“ Wimberg ging auf den Namensträger des Preises ein: „Zivilcourage: Das bedeutet mutig, entschlossen und selbstlos gegen jedwede Art von Unrecht vorzugehen. Es bedeutet Verantwortung, Einsatz und Mitgefühl zu zeigen und dabei die Konsequenzen bewusst in Kauf zu nehmen. Das sind die Werte, für die der Vikar-Henn-Preis steht und die Ernst Henn auch selbst zu seinen Lebzeiten an den Tag gelegt hat.“

Mit dem Preis, der von der Bürgerstiftung Cloppenburg ausgelobt wird, soll an den vorbildlichen und mutigen Einsatz von Vikar Ernst Henn, ein Sohn des Oldenburger Münsterlandes, erinnert und sein Andenken gewürdigt werden. Er hat in der Zeit des Nationalsozialismus mutig das NS-Unrechtsregime angeprangert und sich entschieden für Menschenwürde und gegen Machtmissbrauch eingesetzt. Vikar Ernst Henn starb 1945 durch eine britische Panzergranate, als er eine weiße Fahne hisste. Daraufhin wurde das Feuer eingestellt und das Löninger Krankenhaus vor seiner Zerstörung bewahrt. Bereits zuvor hatte sich Henn in seinen Predigten regelmäßig und energisch gegen die Verbrechen des Nazi-Regimes ausgesprochen und deren Verbrechen angeprangert. Landrat Wimberg: „Henns couragiertes Handeln dient uns noch heute als Vorbild. Als Zeichen gegen das Vergessen, gegen Diskriminierung und gegen Gewalt wollen wir seine Botschaft bewahren und auch an die nächste Generation weitergeben. Denn obwohl wir heute nicht länger in einer Diktatur leben müssen, so sind Diskriminierung und Gewalt leider nach wie vor Alltag für viele Menschen, auch in Deutschland.“ Aber genauso gebe es nach wie vor mutige Menschen, jung wie alt, die nicht wegschauen, wenn ihnen Unrecht begegnet, sondern handeln. Um dieses Engagement sichtbar zu machen und zu ehren, sei dieser Preis geschaffen worden.

Prof. Dr. Uwe Meiners als Schirmherr, Ehrenamtler und Historiker, bezweifelte, ob wir aus der Geschichte lernen können. „Eigentlich könnten wir das. Geschichte wiederholt sich nicht, das stimmt. Diktatoren kommen und sie gehen. Aber Ideologien scheinen ungeahnte Überlebensfähigkeiten zu haben.“ Es würden Verschwörungsmythen bemüht, Menschengruppen zu Sündenböcken stigmatisiert, erklärte der Präsident der Oldenburgischen Landschaft. „Hier in Deutschland haben wir das erlebt. Wir tun gut daran, unsere Geschichte aufzuarbeiten.“ Meiners erinnerte an die Idee der „Volksgemeinschaft“ aus der Zeit des Nationalsozialismus, die ausmachte entweder für oder gegen sie zu sein, mit Folgen in beiden Richtungen. „Einer der sich dagegen auflehnte, war Vikar Ernst Henn. Eine Gemeinschaft braucht so mutige Vertreter, vor allem, wenn humanistische Werte auf dem Prüfstand stehen. Für mich und die Oldenburgische Landschaft ist die Übernahme der Schirmherrschaft für diesen Preis eine große Ehre“, betonte Meiners.

Prof. Dr. Christine Aka, Geschäftsführerin des kulturanthropologischen Instituts für das Oldenburger Münsterland, versuchte ihre Kindheit in Südoldenburg noch einmal mit dem Blick des heutigen Wissenstandes zu analysieren. Dabei ging sie insbesondere auf das Hierarchieverständnis ein, „das heute viele für befremdlich halten würden“, ein. „Der Pfarrer wurde beinahe majestätisch behandelt. Er konnte Feiern abbrechen, bestimmte, welche Vereine es geben durfte, mischte sich in die Kindererziehung ein und bestimmte vielerorts, ob am Sonntag geerntet werden durfte. In Südoldenburg lebte man früher in einer Welt, in der Alltag und Religion eng verwoben waren“, erklärte Aka. Sie beschrieb eine männerdominierte Welt, in der eine „erstaunlich große Gruppe“ von Klerikern Verbrechen an Kindern beging. „Wir wissen heute, wie die Kirche das vertuscht hat: Kleine Kinder wurden eingeschüchtert und die Tabuisierung von Sexualität sorgte dafür, dass diese Machtlosigkeit verschwiegen und nicht vergessen werden konnte.“ Aka sprach von einer Welt, in der die Täter Herrscher waren und Opfer die Machtlosen. „Die Kinder haben Jahrzehnte warten müssen, bis die Macht der Kirche schrumpfte und sie ihre alleinige Deutungshoheit verlor. Selbst in den 1990ern wurde noch versucht, Opfer zum Schweigen zu bringen. Einer der sich ermächtigte sich zu trauen ist der heutige Preisträger“, sagte Aka in ihrer Laudatio.


Bekamen eine große Anerkennung für Zivilcourage: Preisträger Bernd Theilmann (mit Urkunde) sowie Schülersprecherin Henrike Eickhorst-Lindemann (mit Urkunde) mit Schulleiterin Christane Dehmel (7. von links). Ihre Leistung lobten unter anderem Landrat Johann Wimberg (2. von rechts), Laudatorin Prof. Dr. Christine Aka (4. von rechts), Laudato-rin Silvia Breher (2. von links), Prof. Dr. Uwe Meiners (links), sowie Dechant Bernd Strick-mann (rechts) und Tobias Vaske von der Bürgerstiftung (3. von links). Foto: Sascha Rühl / LK Cloppenburg

Bernd Theilmann hatte sich erst nach 30 Jahren getraut an die Öffentlichkeit zu gehen. Pfarrer Bernhard Janzen war 1972 zum Ehrenbürger von Neuenkirchen ernannt worden und ein Jahr später verstorben. 1994 wurde dann ein Namenspatron für die neu gegründete Schule des Ortes gesucht und man entschied sich für den Pfarrer als Namensgeber. Daraufhin brach Bernd Theilmann sein Schweigen, informierte den Bürgermeister. Unterstützung kam von vier weiteren Opfern Janzens, die die Anschuldigung sexueller Übergriffe bestätigten. Janzen hatte Kinder und Jugendliche dazu benutzt, sexuelle Phantasien auszuleben, ihr Vertrauen ausgenutzt und den Glauben als Machtinstrument genutzt. Unterstützung erfuhr er von dieser Stelle nicht, kurz darauf schaltete sich der örtliche Pfarrer ein, Theilmann sprach auch mit dem damaligen Weihbischof Max Georg Freiherr von Twickel. Doch es wurde noch ein Jahr an der Namensgebung festgehalten. Bernd Theilmann musste öffentlich Hass von Menschen ertragen, die das Unfassbare nicht glauben wollten. „Er erlebte gewollte Blindheit. Erst heute ist die Zeit gekommen, dass Anfeindungen in Anerkennung verwandelt werden können“, resümierte Prof. Dr. Christine Aka abschließend über den Preisträger.

„Ich konnte als Zehnjähriger nicht mit meinen Eltern sprechen, es war ein Tabu. Wenn etwas passiert was nicht sein darf oder sein kann, dann werden falsche Wege bestritten. Priester galten in der Gesellschaft als unantastbar“, betonte Bernd Theilmann, der sich kurzfasste. „Ich begrüße Ihren Mut, mich hier auszuzeichnen, so normal ist das hier in Cloppenburg auch nicht“, fand der Preisträger des Vikar-Henn-Preises.

Dr. Hans Jürgen Hilling, ein enger Vertrauter Theilmanns und juristischer Beistand von anderen Missbrauchsopfern, fasste die bisherigen Erkenntnisse über die Missbrauchstaten im Oldenburger Münsterland zusammen und forderte noch mehr Bereitschaft zur Aufklärung.

Bundestagsabgeordnete Silvia Breher hielt die Laudatio in diesem Jahr zum neu geschaffenen Anerkennungspreis für couragiertes Verhalten. „Die Geschichte von Vikar Henn habe ich nach der Schulzeit nie wieder vergessen, weil sie so eindrücklich war. Durch seine Einstellung hat er die Situation damals beeinflussen können“, lobte Breher. Er habe unfassbaren Mut bewiesen, heute könne jeder seine Meinung sagen, alle seien gleich. „Aber sind wir alle gleich? Durch den Angriffskrieg auf die Ukraine hat sich vieles verändert. Heute sind viele Menschen hier, die es früher nicht waren.“ Auch heute würden Menschen noch ausgegrenzt und diskriminiert. Auch heute gebe es Vorbilder, die es nicht sein wollen, sondern einfach sind. „Unsere Kinder vergleichen sich über das Internet mit der ganzen Welt. Vorverurteilungen beginnen sehr früh.“ Vor allem in den Schulen würden wichtige Schranken gestellt.

„W I R“, Wissen Integration und Respekt, gehöre zur Ludgeri-Schule in Löningen dazu. Die Schule schreibe offene Briefe, wenn es in Deutschland zu rassistischen Vorfällen komme, jede Klasse fahre nach Esterwegen zur KZ-Gedenkstätte, dazu gebe es noch zahlreiche weitere Aktionen, zuletzt ein Projekt mit dem Verfassungsschutz. „All diese Aktionen finden neben dem Schulalltag statt und das ist nicht selbstverständlich, das ist eine Herausforderung für die ganze Schulgemeinschaft“, lobte die Schulpatin Silvia Breher.

Schulleiterin Christiane Dehmel stellte mehrfach und deutlich klar, dass Courage ein Gemeinschaftswerk der Schulgemeinschaft im Alltag sei. „Es ist Anerkennungspreis für unsere Schule und für alle Schulen. Diese vorab gehörten Worte erfüllen mich mit Stolz“, sagte Dehmel, die nun sechs ihrer Abschlussschülerinnen zu Wort kommen ließ. In einer Spielszene zeigten sie eindrucksvoll, wie furchtbar es wäre, wenn eine Lehrerin die Benotung und Behandlung direkt von der Abstammung oder sexuellen Ausrichtung abhängig machen würde und die Schülerinnen offen diskriminieren würde. „Alle Schulen arbeiten tagtäglich daran, Rassismus zu verhindern und Courage zu fördern, dafür stehen wir nur exemplarisch. Der Preis geht vor allem an die jungen Menschen, sie sind unsere Zukunft, sie müssen sich im Alltag mutig gegen Gewalt, Diskriminierung, Homophobie und Ausgrenzung stellen“, hob die Schulleiterin hervor. Konrektor Sebastian Macke ergänzte: „Verbundenheit schafft Vertrauen, Vertrauen schafft Beziehungen, Beziehungen schaffen Wärme.“

Zum Abschluss erinnerte Dechant Bernd Strickmann an die Verantwortung, die jeder einzelne in einer Gesellschaft habe: „Ich kann mich nicht vor der Wahrheit drücken, das hat Vikar Henn einmal gesagt. Da hat sich gegen den Zeitgeist gestellt. Der hat die Fahne hoch und gegen den Wind gehalten“, erinnerte Strickmann. „Es ist wichtig, dass wir die Fahne nicht mit dem Wind halten.“ Der Dechant dankte Bernd Theilmann für die Annahme des Preises und den Mut etwas aufzustoßen, das es Wert sei darüber zu sprechen. Darüber hinaus hoffte er, dass in zwei oder drei Jahren wieder ein Vikar-Henn-Preis verliehen werden kann „an Menschen, die Courage gezeigt haben“.

Sascha Sebastian Rühl, Pressesprecher