Dankesworte


Dankesworte des Preisträgers: Prälat Peter Kossen

Herzlich danke ich der Bürgerstiftung Cloppenburg und der Kirchengemeinde St. Andreas für die Verleihung des Vikar-Henn-Preises und für die damit verbundene Anerkennung! Herrn Prof. Dr. Uwe Meiners danke ich für die Laudatio! Und ich kann Ihnen versprechen, dass ich auch zukünftig nicht schweigen werde.
Ich will, dass die Öffentlichkeit aufmerksam wird und realisiert, wieviel im Nordwesten im Argen ist. Die Sklaverei muss in dieser Region ein Ende haben! Schwere Arbeitsausbeutung hat hier System. Darum braucht es den Systemwechsel! Der Missbrauch der Werkvertrags- und Leiharbeit zum Zweck von Lohn- und Sozialdumping ist wie ein Krebsgeschwür, das seinen Ausgang genommen hat von der Fleischindustrie und mittlerweile die Metallindustrie, die Logistik und viele andere Branchen befallen hat. Es geht dabei keineswegs um Flexibilisierung, sondern um primitive Lohndrückerei und das Absenken von Sozialstandards! Mit Selbstverpflichtungserklärungen soll der Eindruck erweckt werden, als ob bereits Fortschritte erzielt worden seien. Die Realität zeigt aber, dass Ausbeutung, Menschenschinderei und Lohndrückerei unvermindert fortgeführt werden. Menschen werden benutzt, verschlissen und dann entsorgt – wie Maschinenschrott: Wegwerfmenschen! Moderne Sklaverei ist die Realität. Die Behörden und Kommunen schauen machtlos zu. Es mangelt an der Durchsetzung von Recht und Gesetz. Frauen und Männer aus Rumänien, Bulgarien, Polen… sind in solchen Strukturen Arbeitnehmer dritter Klasse, eine „Geisterarmee“: Arbeitskräfte ohne Gesicht, ohne Namen und Geschichte. Wer nicht den Mut hat, das System zu wechseln, die Sklavenhalter ins Gefängnis zu bringen und die Arbeiter in Festanstellung, der wird immer nur an den Symptomen herumdoktern, aber nie das Übel beseitigen. Dies ist durch nichts zu rechtfertigen! Das EU-Aufenthaltsrecht, kombiniert mit Hartz IV („nur der Mensch in Arbeit hat Recht auf Aufenthalt und Bezug von Sozialleistungen“) wird für viele EU-Bürger aus Rumänien und Bulgarien zur Falle, weil sie gezwungen sind, notfalls auch ausbeuterische Job-Angebote in der Fleischindustrie, auf dem Bau oder bei den Paketzustellern anzunehmen. Frauen sind aus diesem Grund leicht Opfer von Zwangsprostitution. „Fleisch ist Fleisch“ und das eine wird so verächtlich behandelt und gehandelt, wie das andere – mit dem Unterschied, dass Tierhandel und Tierhaltung stärker reguliert ist.
Zur Ausbeutung kommt die Unterbringung in gesundheitsgefährdenden Wohnungen, und das oft zu Wuchermieten. Die aktuell auftretende Tuberkulose haben manche Arbeitsmigranten vielleicht mitgebracht. Aber den Ausbruch der Krankheit und tödlichen Verlauf begünstigen die erbärmlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen. Wenn in Garrel über den geeigneten Ort für Betriebswohnungen gestritten wurde, dann muss man doch sagen: Die Leute kommen nicht erst noch. Die sind schon lange da, nicht selten mit Familie! Erzieherinnen erzählen mir von verstörten, verängstigten und geschwächten Kindergartenkindern, die in solchen Verhältnissen leben und aufwachsen. Manche verschlafen fast den ganzen Kindergartentag, weil sie nachts in den Unterkünften Gewalt, Alkohol- und Drogenmissbrauch und auch Prostitution miterleben. Wer diese Wirklichkeit in unserer Heimat hinnimmt oder sogar rechtfertigt, verrät die Ideale eines Vikar Henn und eines Bischof von Galen. Ich bin überzeugt: Eine Gesellschaft, die solches zulässt, zerstört das Leben dieser Menschen und letztlich auch sich selbst. Die Region kann technisch hoch entwickelt sein wie das Oldenburger Münsterland. Wenn ihr die Solidarität und das Bewusstsein für die unveräußerliche Würde eines jeden Menschen verloren gegangen ist, verliert sie ihre Kultur: die Wurzeln, aus denen sie lebt. Wer gegenüber dem Menschen gleichgültig ist, der ist es auch gegenüber den Tieren und der Natur. – Ein Sumpf von kriminellen Subunternehmern und dubiosen Leiharbeitsfirmen wird genutzt, um Lohnkosten zu drücken und Unternehmer-Verantwortung abzuwälzen. Wenn der Wernsing-Konzern immer schon ohne Werkvertragsarbeiter auskommt und „Böseler Goldschmaus“ die Arbeiter angestellt hat und ihnen Wohnungen baut, warum dann nicht Tönnies, Heidemark, Sprehe, Plukon, Wiesenhof, Westfleisch, Vion und Danish Crown, die EW-Group, die Meyer-Werft??
Das „Deutsche Institut für Menschenrechte“ hat einen Bericht für den Deutschen Bundestag erstellt zur aktuellen Entwicklung der Menschrechtssituation in Deutschland. Darin heißt es:
„Arbeitsmigrant*innen erleben hier trotz gesetzlicher Änderungen und ausgebauter Unterstützungsstruktur nach wie vor schwere Ausbeutung, beispielweise auf dem Bau, in der fleischverarbeitenden Industrie, der Pflege oder Landwirtschaft. Das heißt, sie arbeiten letztlich für zwei bis drei Euro die Stunde, mit vielen Überstunden und ohne soziale Absicherung. Ein zentrales Problem: Sie können ihr Recht auf Lohn ganz häufig nicht durchsetzen. Fehlende Sprach- und Rechtskenntnis, Abhängigkeit vom Arbeitgeber, fehlende Beweismittel sowie ein erschwerter Zugang zu Beratung führen zu einer strukturellen Unterlegenheit gegenüber den Arbeitgebern, die durch bestehende einzelne rechtlichen Instrumente nicht ausgeglichen werden kann. Es braucht ein effektives Gesamtkonzept, mit dem der Staat seine grund- und menschenrechtliche Verpflichtung umsetzt, Betroffenen effektiven Zugang zum Recht zu gewähren.“
Am 4. Januar habe ich mit einigen Fachleuten und Engagierten den Verein „Aktion Würde und Gerechtigkeit“ gegründet. Wir wollen Arbeitsmigranten aus Ost- und Südosteuropa stark machen und so dazu beitragen, dass ihre Integration gelingt. Würde und Gerechtigkeit wird ihnen, wie im Menschrechtsbericht deutlich wird, oft vorenthalten. Das deutsche Arbeitsrecht geht davon aus, dass die Durchsetzung von Arbeitnehmerrechten Sache des Beschäftigten ist. Das ist leider weit weg von der Wirklichkeit. Eine Unterstützung durch Betriebsräte oder Gewerkschaften wird vorausgesetzt. Bei mobilen Beschäftigten kommt diese Unterstützung aber gar nicht zum Tragen. Betriebsräte und Gewerkschaften sind für Werkvertrags- und Leiharbeiter nicht vertretungsberechtigt. Arbeitsmigranten in einem bestehenden Arbeitsverhältnis können ihre vorenthaltenen Ansprüche kaum geltend machen. Sie haben begründete Angst vor dem Jobverlust und vor den Kosten eines Rechtsstreits. Dieses Ausgeliefertsein und die faktische Unmöglichkeit der Durchsetzung von Arbeitnehmerrechten macht die Werkvertrags- und Leiharbeit so attraktiv für gewissenlose Manager und Menschenhändler und so anfällig für gnadenlose Ausbeutung. Der neugegründete Verein wird u. a. durch ein Netzwerk von Juristen und juristisch geschulten Ehrenamtlichen den Rechtsweg für Arbeitsmigranten leichter zugänglich machen. Das beginnt damit, dass Anträge bei Gericht für Beratungshilfe und Prozesskostenhilfe übersetzt und Menschen, die kein Deutsch sprechen, bei der Antragstellung unterstützt werden. Juristische Beratung und Vertretung auch vor Gericht soll dadurch leichter zugänglich werden. Das mit der Verleihung des Vikar-Henn-Preises verbundene Preisgeld kommt dem Verein „Aktion Würde und Gerechtigkeit“ zugute. Der Verein ist als gemeinnützig anerkannt. Durch Mitgliedschaft oder Spenden können Sie die Arbeit des Vereins unterstützen.
In der Ernährungsindustrie gibt es auch solche Unternehmen, die ihre Verantwortung wahrnehmen. Die müssen wir stark machen! Die Landesregierung hat bei „Böseler Goldschmaus“ ein wichtiges Zeichen gesetzt. Auch die Konsumenten können ein Zeichen setzen, wenn sie die Produkte der Sklaventreiber in den Regalen liegenlassen und durch ihre Kaufentscheidung faire Arbeitsbedingungen belohnen. Was ist uns gute Arbeit wert? Was ist uns Gerechtigkeit wert? Ausbeutung und Abzocke, wie sie in der Fleischindustrie, bei den Paketdiensten, im Schiffsbau und anderen Branchen hier in der Region alltäglich ist, muss durch die Öffentlichkeit geächtet und durch den Boykott von Seiten der Kunden und Konsumenten bestraft werden! Wir sollten Ernst Henn und Clemens August Graf von Galen nicht ins Museum stellen und ihr Leben nicht wie eine Monstranz vor uns hertragen, sondern den Mut haben, heute für das Leben, für die Schöpfung und für Menschenwürde einzutreten.